VORWORT

Eine genau recherchierte moderne Chronologie der namibischen Geschichte gibt es bislang nicht. Im besonderen Maße fehlt ein sorgfältig aufgestelltes, vollständiges Stichwortverzeichnis für den gesamten Abriss namibischer Geschichte. Das gilt speziell für die Perioden der vorkolonialen - und der Mandatsperiode nach dem Ersten Weltkrieg und des Zeitabschnittes nach dem Zweiten Weltkrieg, der zur Unabhängigkeit Namibias führte. Die vorliegende Zeittafel beschreibt "Namibias Weg in die Freiheit". Namibias Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit ist der rote Faden, der sich durch den wechselhaften und vielschichtigen Geschichtsablauf zieht. Es wird dabei deutlich, dass der Freiheitskampf schon lange vor dem formellen Kolonisierungsprozess im Jahre 1884 begann. Als einer der Ausgangspunkte für die Geschichtsforschung, die dieser Chronologie zugrunde liegt, dient der europäische Kolonisierungsprozess mit seiner endlosen Flut von historischen Daten und Ereignissen. Die vorkolonialen und kolonialen Epochen werden dann zu ihrem logischen Abschluss, der namibischen Unabhängigkeit am 21. März 1990, geführt. Durch das wachsende Bewusstsein über die uralten geschichtlichen Wurzeln vieler namibischer Gruppen und unterstützt durch viele neue mündliche Überlieferungen über die Herkunft und die historische Entwicklung dieser Gemeinschaften, kommt es in vielen Fällen zu einer kulturellen Renaissance dieser Gruppen. Diese neuen Forschungen und Erkenntnisse werden in der Chronologie reflektiert.

Der Verfasser ist nicht nur Ingenieur von Beruf, sondern auch Historiker. Er benutzte jedoch in der Aufstellung der Chronik ingenieursmässige Grundsätze, um die Genauigkeit der Geschichtsdaten zu verbessern.

Geschichtliche Zeittafeln sind keine Literatur- und Forschungswerke im strengen Sinn des Wortes, sondern Nachschlagewerke für historische Forschungen. Die vorliegende Chronologie beschreibt mit genau recherchierten Geschichtsdaten den mühseligen Prozess der namibischen Nationenwerdung, die Geschichte und die Rolle der namibischen Gruppen in ihrem Widerstand gegen das europäische Eindringen, das Zustandekommen der namibischen Grenzen, die Entwicklung der politischen Parteien und Interessengruppen mit ihren führenden Persönlichkeiten und den schwierigen Weg zu Namibias Unabhängigkeit mit dem vollen Spektrum der Völkerbunds - und UNO-Resolutionen. Auch die technische Geschichte von Stadtentwicklung, Verkehr, Kommunikationen, Energie, Bergbau und Postwesen wird behandelt. Es muss jedoch bedacht werden, dass die namibische Archäologie noch in ihren Kinderschuhen steckt, und es damit kaum möglich ist, Namibias Vorgeschichte detailliert zu behandeln. Für die Gruppengeschichte vieler namibischer Gemeinschaften gibt es kaum genaue Quellen. Auch hier befindet sich die Datensammlung und Auswertung mündlicher Überlieferungen erst in ihrem Anfangsstadium.

Die Chronologie wird in logische Entwicklungsabschnitte der namibischen Geschichte aufgeteilt: Sie beginnt mit der Vorgeschichte der mittleren Steinzeit im südlichen Afrika um 1200 n. Chr. Aus dieser Zeit gibt es erste Siedlungsstrukturen und einfache Verkehrsverbindungen. Der nächste Zeitabschnitt befasst sich mit der Ankunft von Forschungsreisenden, Berufsjägern und Händlern, die sich in Namibia zwischen 1486 und 1800 aufhielten. Nach 1800 folgten die christlichen Missionare. Diese Zeitspanne wird in zwei Abschnitte aufgeteilt, in die der Ankunft der ersten Missionare am Anfang des 19. Jahrhunderts und in die der Einmischung der Missionare in das soziale und politische Leben vieler namibischen Gruppen zwischen 1840 und 1884. Im Jahre 1884 beginnt, mit der Ankunft der deutschen Kolonialmacht, die Zeit der formellen Kolonisierung Namibias. Diese Zeit wird in vier Abschnitte eingeteilt: Die Anfangsperiode der Kolonialverwaltung von 1884 bis 1889 mit dem Aufbau erster Verwaltungsstrukturen, der Abschnitt von 1890 bis 1903, der mit neunzehn verschiedenen Aufständen in allen Landesteilen zwischen Okavango, Kunene und Oranje den Beginn des aktiven Widerstandes gegen die deutsche Kolonialmacht einleitete (Insgesamt gab es 30 Aufstände gegen die deutschen und südafrikanischen Kolonialmächte zwischen 1890 und 1959). Es folgt die Zeit von 1904 bis 1906 mit dem Höhepunkt des Widerstandes von Ovaherero und Nama, als etwa 3 500 Ovaherero und weniger als 2 000 Nama aller im Kriege befindlichen Nama-Gemeinschaften gegen 15 000 hochgerüstete und technologisch und organisatorisch überlegene deutsche Truppen im Felde standen, und die mit der teilweisen Auslöschung dieser namibischen Gruppen endete. Der letzte Abschnitt von 1906 bis zum Ersten Weltkrieg widerspiegelt die Konsolidierung der deutschen Verwaltung im Schutzgebiet. Der nächste Zeitabschnitt beschreibt die südafrikanische Kolonialphase. Dieser Zeitabschnitt wird in fünf Abschnitte unterteilt, die Zeit der britisch-südafrikanischen Militärregierung von 1915 bis 1918, der Abschnitt von 1919 bis 1945, der die Völkerbunds-Mandatszeit darstellt und der Abschnitt von 1946 bis 1956, der die Bestrebungen der Vereinten Nationen beschreibt, Namibia zu einem Treuhandgebiet zu machen und zugleich den erwachenden namibischen Nationalismus darlegt. Es folgt die Zeit von 1956 bis 1974 mit dem beginnenden aktiven Widerstand gegen die südafrikanische Kolonialmacht und zum Abschluss der Abschnitt der Jahre 1975 bis 1987, der eine Reihe von südafrikanischen Übergangsregierungen sah und den schwierigen Unabhängigkeitsprozess einleitete. Der nächste Zeitabschnitt beschreibt die Phase, die zur Unabhängigkeit am 21. März 1990 führte. Die Chronologie wird mit den ersten zehn Jahren nach der Unabhängigkeit bis zum Jahr 2000 fortgeführt. Da der Verfasser in dieser Zeit als gewählter Abgeordneter des Parlamentes und Minister der Regierung die Anfangsjahre des werdenden Staates mitgestaltet hat, nehmen seine Projekte einen relativ weiten Raum ein und müssen als Teil seiner Memoiren verstanden werden.

Der Forscher wird bei der Bearbeitung der vorkolonialen Zeit der namibischen Geschichte mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Die historischen Quellen aus dieser Zeit sind nicht nur sehr selten, sie sind auch oft widersprüchlich und fast ausschließlich aus europäischer Sicht betrachtet. Eine zusätzliche Erschwernis ist die gotische Handschrift der deutschen Missionare und Beamten. Obwohl es aus der deutschen Kolonialzeit eine Fülle von Material gibt, ist dieses voreingenommen und unterstützt lediglich die deutschen Kolonialinteressen ohne Rücksicht auf den Standpunkt und die Interessen der namibischen Bewohner.

Der Ausgangspunkt für die Erforschung und Auswertung der vorkolonialen Zeit ist die Arbeit von Heinrich Vedder. Vedders Veröffentlichungen müssen jedoch mit Vorsicht bearbeitet werden, da sie häufig nicht auf geschichtlichen Primärquellen beruhen. Zusätzlich zu Vedders Studien sind die zahlreichen Beschreibungen und Erinnerungen der frühen Forschungsreisenden, der Händler, Jäger und der Missionare herangezogen worden, die meistens aber historisch nicht sehr ergiebig sind. Eine besonders wichtige Quelle sind die veröffentlichten Tagebücher von Carl Hugo Hahn und Emma Sarah Hahn sowie die Memoiren von Charles John Andersson. Andere wichtige Quellen können in den Akten der Londoner, der Wesleyanischen und der Rheinischen Missionsgesellschaften gefunden werden. Bei der Bearbeitung der Akten der Wesleyanischen Missionsberichte müssen die Arbeiten von Benjamin Ridsdale erwähnt werden. Weitere Quellen können in den Veröffentlichungen und Nachdrucken der Van-Riebeeck-Gesellschaft in Kapstadt, in den ausführlichen Abhandlungen von 1915 von Prof. E. Moritz und in den Jahresberichten der Rheinischen Missionsgesellschaft gefunden werden. Sonstiges Material kommt im Kap-Archiv vor, wie die Berichte von William Coates Palgrave, Sonderkommissar der Kapregierung im Damaraland in den 1870igern, und in der Cory-Bibliothek in Grahamstown. Auch das Archiv des ehemaligen Reichskolonialamtes in Deutschland ergab wichtiges Quellenmaterial.

Die namibische Frühgeschichte kann nicht isoliert von der Periode der frühen europäischen Forscher, Abenteurer, Händler und Missionare behandelt werden. Dieser Personenkreis öffnete das Land der Außenwelt im späten 18. und während des 19. Jahrhunderts. Diese Entwicklungen führten zu Namibias Kolonialstatus, der erst mit der Unabhängigkeit im Jahre 1990 ein Ende fand. Die Auswertung der vielfältigen Quellen der deutschen Kolonialzeit zwischen 1883 und 1915, zusammen mit reichlich vorhandener Sekundärliteratur, zeigt die durchschlagenden tragischen Folgen, die diese Zeit auf die namibischen Gruppenstrukturen hatte. Die meisten Gemeinschaften verloren nicht nur ihren gesamten Besitz, ihr Land und Vieh, sondern auch die grundlegenden Menschenrechte.

Auf ein Problem muss noch hingewiesen werden: Für die Auswertung der Kriegshandlungen in den verschiedenen Widerstandskriegen (1903 - 1907) gegen die deutsche Kolonialmacht wurde weitgehend von den detaillierten Beschreibungen des Generalstabswerkes Gebrauch gemacht. Es musste dabei in Kauf genommen werden, dass das Generalstabswerk viele Ungenauigkeiten enthält. Leider sind die Schutztruppenakten während des Zweiten Weltkrieges (1944) im Berliner Heeresarchiv vernichtet worden (mit Ausnahme der Akten des Marine-Expeditionskorps, die sich heute in Freiburg/Breisgau befinden). Die umfangreiche Memoirenliteratur aus den Zeiträumen der deutschen Zeit sind noch nicht synoptisch aufgearbeitet worden. In Tagebüchern von Kriegsteilnehmern ist nicht allzu viel erhalten, da der deutsche Generalstab diese für Auswertungszwecke eingesammelt hatte. Briefe, die von Kriegsteilnehmern in die "Heimat" geschickt wurden, sind auch nicht zahlreich vorhanden, da von Trothas Briefzensur ziemlich strikt war.

Die Mandatsverwaltung der Union von Südafrika und die spätere Administration der Republik Südafrika setzten in vielfacher Hinsicht die Politik der deutschen Kolonialverwaltung fort. Der Aufbau einer umfassenden Zeittafel der südafrikanischen Kolonialzeit von 1920 bis 1989 erforderte ein gründliches Studium des Quellenmaterials im Windhoeker Staatsarchiv wie die Berichte der Union von Südafrika an den Völkerbund und an die Vereinten Nationen sowie die Akten des Südwestafrika-Gerichtsfalles vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Viele dieser Quellen wurden mit den persönlichen Erfahrungen des Autors verglichen, der seit 1977 in namibischer Politik involviert war. Die Geschichte aller politischer Parteien (182 Parteien und politische Organisationen und Druckgruppen von 1919 bis 1990) wurde gründlich analysiert. Da der Autor in den ersten zehn Jahren nach der Unabhängigkeit als Mitglied der neuen Regierung und Parlamentarier die Nach-Unabhängigkeitsphase mitgestaltet hat, reflektiert die Chronologie nicht nur diesen faszinierenden Zeitabschnitt, sondern auch dessen persönlichen Memoiren.

Wo kein genaues Datum für ein Ereignis festgestellt werden konnte, wurde dieses unter dem entsprechenden Jahr eingeordnet. Ortsnamen werden in der Schreibweise, die im südlichen Afrika üblich ist, wiedergegeben, also Zambezi und nicht Sambesi oder Zanzibar und nicht Sansibar.

Das Personen- und Sachregister wurde so genau erforscht, wie es die historischen Quellen zuließen. Personennamen wurden nach dem neuesten Stand der Forschung wiedergegeben. Wo es keine vollen Vornamen, wie besonders in vielen Quellen aus der deutschen Kolonialzeit, gab, wurden, wenn vorhanden, Vor-Buchstaben gebraucht. Wo es diese auch nicht gab, wurde Gebrauch von Berufsbezeichnungen oder akademischen Titeln gemacht, die sonst generell nicht angewendet wurden. Wenn es überhaupt keine Hinweise gab, wurden "Herr" oder "Frau" benützt. Alle Ortsnamen wurden in einem gesonderten Ortsnamenregister zusammengefasst.

Auf die Besonderheit der Schnalzlaute der Khoesan (auch Buschleute genannt), der #Nu-Khoen (Dama oder Damara) und der Khoe (Nama) muss hingewiesen werden. Diese werden durch folgende Symbole dargestellt: ! (zerebraler Laut), | (dentaler Laut), || (lateraler Laut) und # (palataler Laut).

Die jahrzehntelangen Arbeiten an dieser Chronologie machten es sehr deutlich, dass eine der Hauptunzulänglichkeiten der vorhandenen historischen Quellen die Einschätzung der Ureinwohner als Objekte europäischer Bestrebungen ist. Sie tauchen nicht als "Macher der Geschichte" auf. So entsteht der Eindruck, dass sie "außerhalb" der namibischen Geschichte lebten und nicht Teil von ihr waren. Die vorliegende Chronologie versucht ernsthaft, dieses Vorurteil zu korrigieren. Die Geschichte Namibias kann nicht mehr "ethnisch" betrachtet werden, sondern für die historische Entwicklung der namibischen Gruppen stehen wirtschaftliche und soziale Argumente mehr im Vordergrund als "ethnische". Es muss aber auch verstanden werden, dass dieser Versuch nur der erste Schritt sein kann, die vielschichtige Geschichte des gerade erst unabhängig gewordenen Namibias zu bearbeiten. Eine weitere Unzulänglichkeit ist die Schwierigkeit, Primärquellen zu der Rolle der Frauen in der Geschichte und im Befreiungskampf des Landes zu finden. Dieses Thema muss durch weitere Forschungen vertieft werden. Der unterdrückte Status der Frauen in der namibischen Geschichte wird deutlich bewiesen, dass sie in den meisten Geschichtsquellen nicht erwähnt werden. Eine ausführliche Chronologie der traditionellen Gruppenführer bedarf auch noch weiterer Arbeit.

Ein großes Problem ist auch der mangelhafte oder nicht vorhandene Zugang zu den Quellen vieler moderner politischen Parteien, Gewerkschaften und Organisationen.

Besonders danke ich André du Pisani von der Universität von Namibia und Gunther von Schumann von der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft für ihre wertvollen Ratschläge und Werner Hillebrecht von der Nationalbibliothek, der mir in zahllosen Fällen half, Zugang zu den entsprechenden historischen Quellen zu finden. Ich möchte mich auch bei Barbara Gühring und Ingrid Demasius von der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft für ihre Bereitschaft bedanken, meine Arbeit zu veröffentlichen. Ich danke Ulrike Sievers von Protype für die Hilfe bei der Gestaltung des Layouts. Meiner Frau, Karen Dierks, und Heide Wucher danke ich für das "Korrekturlesen" und viele sprachliche Verbesserungen bei der Textverarbeitung.

Fehler in Tatsachen oder Beurteilungen müssen mir angelastet werden.

 

Dr. Klaus Dierks

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